Am
15.Dezember 2016 stand ein Routinebesuch beim praktischen Arzt für
mich an. Gegen Ende kam es zu der obligatorischen Blutdrucksmessung,
und die fiel garnicht schlecht aus. Allerdings meinte der Doktor,
dass seine Helferin schnell noch ein EKG machen solle. Das geschah,
und ich bemerkte eine gewisse Nervosität bei ihrem konzentrierten
Blick auf den für mich nicht sichtbaren Monitor. Sie ruckelte dann
an einigen der Kabel, plazierte einige Saugnäpfe etwas anders und
machte eine erneute Messung. Nun verliess sie den Raum und meinte,
der Doktor solle sich etwas ansehen.
Sie
blieb eine ganze Weile weg. Ich wusste, dass beide sich die
Ergebnisse auch am Monitor im Arztzimmer ansehen konnten.
Die
Schwester kam zurück und eröffnete mir, dass das EKG zeige, dass
ich an Vorhofflimmern litt. Der Begriff sagte mir wenig, obwohl auch
mein Vater in seinen letzten Jahren damit zu tun hatte. Dann wurde
mir mein EKG gezeigt, dass kurz vor der spitzen ”Hauptzündung”
nicht mehr den kleinen Puckel der P-Welle anzeigte, das Zeichen der
korrekten Kontraktion der Vorhöfe. Statt dessen gab es zwischen zwei
Schlägen nur eine verzitterte Gerade, Ergebnis chaotischer
Stromflüsse, die keine produktive Kontraktion zuwege bringen.
Nach
einer längerenWartezeit wurde ich nocheinmal vom Arzt hereingerufen.
Das erste was ich nun lernte war die Notwendigkeit ein Medikament
einzunehmen, zweimal täglich, möglichst immer zum punktgenauen
Zeitpunkt. Dies sollte verhindern, dass sich in den Vorhöfen
aufgrund des nun lahmen Blutflusses Gerinnsel bilden können, die
schlimmstenfalls zu einem Gehirnschlag oder zur Lungenembolie führen
können. Schöne Aussichten.
Nichts
hatte mich auf solchen Befund vorbereitet. Der 15.12. war ein kalter
Tag, ich war ohne Probleme mit dem Rad gefahren, eine fiebrige
Erkältung Anfang Dezember war überwunden. Alles schien "back
to normal".
Probleme
mit Herzrhythmus weniger ernsthafter Natur hatte ich zwar in der
Vergangenheit, aber schon seit 30 Jahren war es ruhig an dieser
Front. Blutdruck seit 25 Jahren ständig überwacht, als er vor zehn
Jahren zu hoch wurde: sofort behandelt und medikamentös immer im
grünen Bereich gehalten. Meine niedrige Pulsrate - seit drei Jahren
auch von mir selbst dokumentiert - hat zwar vereinzelt für leichtes
Stirnrunzeln gesorgt, aber nicht für Alarm. Der Puls war bei den
ärztlichen Checks auch immer deutlich höher als zuhause. Ein
bekanntes Phänomen, wie beim Blutdruck ja auch...
Cardioversion
Einige
tausend Volt durch meinen Brustkorb gejagt sollte zu einem
elektrischen Neustart meines Herzens führen und das Vorhofflimmern
beenden. Ungefährlich, hiess es, seit 50 Jahren praktiziert und
verfeinert. Der Stromstoss wird automatisch getaktet und erfolgt
synchron zum Haupschlag. Und dauert nur einige hundertstel Sekunden.
Trotzdem schmerzhaft, deshalb gibt es eine kurze Narkose. Diese
völlig unproblematisch, laut einiger Bekannter die diese Prozedur
schon mitgemacht hatten.
Vollnarkose
hat mir aber immer schon ein mulmiges Gefühl eingejagt. Wie wird das
sein, wenn man komplett die Kontrolle über sich verliert. Wenn man
hilflos in die Bewusstlosigkeit taumelt. Meine einzige Erfahrung
damit war eine Äthernarkose bei einem Kinderarzt, der mir die
Mandeln kappte. Ich war vielleicht vier oder fünf Jahre alt. Mit
einem siebartigem Gebilde vor der Nase sollte ich dem Doktor
erzählen, was ich zu Weihnachten bekommen hatte. Unter den
Geschenken war auch ein sogenanntes Kugelmosaik, eine Platte mit
vielen Löchern, in die man kleine farbige, metallisch glänzende
Kügelchen legen konnte. Das Muster der Kugeln konnte ein Bild
formen, sozusagen ein analoges Pixelbild. Ich hörte mich noch das
Wort ”Kugelmosaik” aussprechen, da rollten auch schon riesige
metallene Kugeln auf mich zu, an mir vorbei, und dann war nur noch
Dunkelheit.
Nach
dem Aufwachen ging es mir nicht gut. Ich erinnere blutige Tücher und
Näpfe. Nach Hause brachte uns eine Art Taxe, ein grüner, fast
luxuriöser VW Export in zwei Grüntönen gehalten, auch das
Interiör. Unterwegs erbrach ich mich blutig über den Rücksitz. Das
kam nicht gut an bei der Fahrerin. Ich war über eine Woche lang
krank im Bett. Traumatisch das Ganze.
Wie
würde es also sein mit der zweiten Vollnarkose meines Lebens? Na,
meine Schwester, selbst Krankenschwester, nennt diesen Narkosetyp
scherzhaft die "Michael Jackson Dröhnung". Die Kanüle zur
späteren Einfüllung des Narkosemittels war gesetzt, bei mir in die
Hand, weil wieder mal die Armvenen weggerollt waren. Wir waren sechs
Personen an diesem Tag, die im Sahlgrenska Krankenhaus die
Cardioversion erhalten sollten. Nach weit über eine Stunde Warten
kam ich dran als nummer fünf. Hinlegen, dass übliche Anschliessen
der EKG Kabel. Der Arzt kam mit einer kleinen, durchsichtigen
Sauerstoffmaske, ganz angenehm. Dann merkte ich wie etwas an meiner
Hand geschah, aha, es wird etwas warm, wie wird jetzt die
Bewusstlosigkeit kommen... gespannte Aufmerksamkeit. Würde ich nun
unendlich müde werden und wegdämmern? Würde mir schwummrig werden
im Kopf?
Aber
nichts geschah! Verflixt, es wirkt ja garnicht! Ich überlegte, das
kann doch nicht sein, nicht auch das noch! Ich musste mich melden,
sonst kommt der Stromschlag wohlmöglich im Wachzustand! ”Es wirkt
garnicht” hörte ich mich sagen und sah in einige lächelnde
Gesichter um mich herum. ”Ist ja alles schon vorüber” erklärte
man mir. ”Was? Tatsächlich? Und? Erfolg?” "Ja, du hast
deinen Sinusrhythmus wieder."
Ich
war dann etwas euphorisch nach der Narkose, fragte z.B. eine der
Schwestern, ob sie früher mal Hochsprung betrieben habe (was sie
bejahte!), sie hatte die Figur danach. Aber ich war auch fassungslos:
meine Gedanken bei der Wahrnehmung der warmen Hand bis hin zu meiner
Aussage, dass das Mittel nicht wirke erschien mir felsenfest als ein
einziger ungebrochener ”Stream of Consciousness”. Aber es fehlten
etwa zehn, fünfzehn Minuten in meinem Leben, spurlos weg. Die
Gedanken vorher und nachher offenbar unverbrüchlich verschweisst.
Aber dazwischen bist du weg gewesen und hast nichts bemerkt, weder
deinen Abtritt noch den Wiedereintritt ins Bewusstsein. Wärest du
nicht wiedergekommen hättest du auch das garnicht mitgekriegt! Tja,
vielleicht ist der Ausstieg dermaleinst garnicht so dramatisch...
Der
ersehnte Sinus-Takt hielt leider nur zwei Wochen, dann kam das
Flimmern wieder, oder besser: das Flattern. Ist eine Variante des
Flimmers bei dem sich die Vorhöfe wenigstens etwas mehr bewegen,
aber eine nennenswerte Pumpleistung findet nicht statt. Muss
behandelt werden wie das Flimmern.
Ausserdem:
Man hatte mich schon ein wenig vorgewarnt (wegen meiner niedrigen
Pulsrate, oft nur 45 statt 60-70) dass das EKG nach der Cardiversion,
also wenn der Sinus-Takt wieder da ist, noch andere Probleme
enthüllen könnte. So war es dann auch. Das Reizleitungssystem ist
angegriffen, altersbedingte Degeneration (hört man nicht gern!), es
kann in der Zukunft zu einem weiteren - und dann gefährlichen
Absacken - der Schlagfrequenz kommen. Die Antwort darauf heisst: ein
einoperierter Schrittmacher. Und eine Zukunft als Cyborg, halb
Mensch, halb Maschine. Von aussen durch Fachkräfte programmierbar.
Oder durch Hacker. Magnetfelder hoher Stärke könnten mein Ende
sein. Bis zum Tode abhängig von funktionierender Krankenversorgung,
von intakter Zivilisation, von Menschen mit Knowhow und Goodwill, von
Zugang zu Ersatzteilen und Austauschaggregaten. Dass dies eine etwas
gewöhnungsbedürftige Zukunftsaussicht ist brauche ich nicht extra
betonen. Aber, es gibt Schlimmeres.
Schrittmacher OP
Zusammenfassung vom 2.6.2017
- Der geräumige OP Saal: ein echter
Techno-Palast. Aggregate und Bildschirme überall. Ich mag solche
Umgebungen, geben mir ein Gefühl von Sicherheit.
- sehr nette Schwestern, super
pädagogisch drauf, kommentieren alles was sie machen. Bereiten mich
ungestresst auf den Eingriff vor.
- schöne, beruhigende Musik läuft
gleichzeitig ab, ohne jedes blöde Gesabbel zwischendrin. Angenehm.
- Arzt setzt die Lokalbetäubung, die
einzige die ich bekomme. Ein Beruhigungsmittel - vorher als Option
angekündigt - wird nicht angeboten.
- Man findet leider nicht die
bevorzugte Vene für das Einziehen der Elektroden ins Herz. Hab ich
offenbar nicht, kommt vor. Der Doktor muss ziemlich tief graben um an
die nächstbeste ranzukommen.
- Kammerelektrode - sieht aus wie ein
magersüchtiges Bremskabel fürs Fahrrad - wird problemlos eingezogen
und in die innere Kammerwand regelrecht eingeschraubt. In keiner
Weise spürbar.
- Dann die Vorhofelektrode: Reichlich
Versuche, aber nicht für Geld und gute Worte zu befestigen. Wieder
raus damit. Nicht so prickelnd die Probleme voll mitzukriegen, trotz
rührender Bemühungen einer Schwester mich abzulenken. Ein anderes
Fabrikat greift dann schon beim ersten Versuch.
- Beim Vernähen erzählt mir der
Doktor, dass alle meine Komponenten MRT tauglich sind
(Kernspintomographie). Das will man heutzutage haben. Allerdings: man
bleibt vorzugsweise bei einem
Hersteller für das Ganze. Sollte aber praktisch keine Konsequenzen
haben. Hoffen wirs.
- Keinerlei störende Empfindungen beim
ersten Anschluss des Boston Scientific SM.
- Eine Stunde später: Nach einigen
Spaziergängen auf dem Korridor leichtes Schwindelgefühl. Der Arzt
kommt nochmal und checkt die Werte, Aggregat zielt auf 70
Schläge/min. Technisch und EKG mässig keine Probleme.
- Nach einigen Stunden kommt dann die
"Programmiererin" und macht alle notwendigen Tests. Alles
normal. Auf meine Frage ob denn 70 Schläge nicht ein bisschen hoch
gegriffen ist nach vielen Jahren unter oder knapp über 50 meint sie,
das hätte mit dem weiter bestehenden Vorhofflattern zu tun. Es ist
die Frequenz die eventuelle Probleme minimiert. Danach nach Hause (8
h in der Klinik). Lena holt ab.
- Zwei Tage später: Immer noch kein
Halleluja Gefühl. Hoher Blutdruck. Immer noch gefühlte Arhythmien.
Hoffe, dass es ein Umstellungsphänomen ist.
- Montag 5.6.: Rufe in der Klinik an,
will eine Nachkontrolle, fühle mich nicht besonders. Benommenheit
und leichter Schwindel. Der Puls wird auf ein Minimum von 60 gesenkt.
Unser Kardiolog-Nachbar hier im Haus
sagt: Das war vernünfting. Gewisse Umstellungsprobleme seien nicht
selten. Blutdruck sinkt dann auf akzeptables Niveau. Wolln sehn wies
weitergeht...
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