Sunday, January 1, 2006

Es geht zu Herzen...

Am 15.Dezember 2016 stand ein Routinebesuch beim praktischen Arzt für mich an. Gegen Ende kam es zu der obligatorischen Blutdrucksmessung, und die fiel garnicht schlecht aus. Allerdings meinte der Doktor, dass seine Helferin schnell noch ein EKG machen solle. Das geschah, und ich bemerkte eine gewisse Nervosität bei ihrem konzentrierten Blick auf den für mich nicht sichtbaren Monitor. Sie ruckelte dann an einigen der Kabel, plazierte einige Saugnäpfe etwas anders und machte eine erneute Messung. Nun verliess sie den Raum und meinte, der Doktor solle sich etwas ansehen.
Sie blieb eine ganze Weile weg. Ich wusste, dass beide sich die Ergebnisse auch am Monitor im Arztzimmer ansehen konnten.

Die Schwester kam zurück und eröffnete mir, dass das EKG zeige, dass ich an Vorhofflimmern litt. Der Begriff sagte mir wenig, obwohl auch mein Vater in seinen letzten Jahren damit zu tun hatte. Dann wurde mir mein EKG gezeigt, dass kurz vor der spitzen ”Hauptzündung” nicht mehr den kleinen Puckel der P-Welle anzeigte, das Zeichen der korrekten Kontraktion der Vorhöfe. Statt dessen gab es zwischen zwei Schlägen nur eine verzitterte Gerade, Ergebnis chaotischer Stromflüsse, die keine produktive Kontraktion zuwege bringen.

Nach einer längerenWartezeit wurde ich nocheinmal vom Arzt hereingerufen. Das erste was ich nun lernte war die Notwendigkeit ein Medikament einzunehmen, zweimal täglich, möglichst immer zum punktgenauen Zeitpunkt. Dies sollte verhindern, dass sich in den Vorhöfen aufgrund des nun lahmen Blutflusses Gerinnsel bilden können, die schlimmstenfalls zu einem Gehirnschlag oder zur Lungenembolie führen können. Schöne Aussichten.

Nichts hatte mich auf solchen Befund vorbereitet. Der 15.12. war ein kalter Tag, ich war ohne Probleme mit dem Rad gefahren, eine fiebrige Erkältung Anfang Dezember war überwunden. Alles schien "back to normal".
Probleme mit Herzrhythmus weniger ernsthafter Natur hatte ich zwar in der Vergangenheit, aber schon seit 30 Jahren war es ruhig an dieser Front. Blutdruck seit 25 Jahren ständig überwacht, als er vor zehn Jahren zu hoch wurde: sofort behandelt und medikamentös immer im grünen Bereich gehalten. Meine niedrige Pulsrate - seit drei Jahren auch von mir selbst dokumentiert - hat zwar vereinzelt für leichtes Stirnrunzeln gesorgt, aber nicht für Alarm. Der Puls war bei den ärztlichen Checks auch immer deutlich höher als zuhause. Ein bekanntes Phänomen, wie beim Blutdruck ja auch...

Cardioversion

Einige tausend Volt durch meinen Brustkorb gejagt sollte zu einem elektrischen Neustart meines Herzens führen und das Vorhofflimmern beenden. Ungefährlich, hiess es, seit 50 Jahren praktiziert und verfeinert. Der Stromstoss wird automatisch getaktet und erfolgt synchron zum Haupschlag. Und dauert nur einige hundertstel Sekunden. Trotzdem schmerzhaft, deshalb gibt es eine kurze Narkose. Diese völlig unproblematisch, laut einiger Bekannter die diese Prozedur schon mitgemacht hatten.
Vollnarkose hat mir aber immer schon ein mulmiges Gefühl eingejagt. Wie wird das sein, wenn man komplett die Kontrolle über sich verliert. Wenn man hilflos in die Bewusstlosigkeit taumelt. Meine einzige Erfahrung damit war eine Äthernarkose bei einem Kinderarzt, der mir die Mandeln kappte. Ich war vielleicht vier oder fünf Jahre alt. Mit einem siebartigem Gebilde vor der Nase sollte ich dem Doktor erzählen, was ich zu Weihnachten bekommen hatte. Unter den Geschenken war auch ein sogenanntes Kugelmosaik, eine Platte mit vielen Löchern, in die man kleine farbige, metallisch glänzende Kügelchen legen konnte. Das Muster der Kugeln konnte ein Bild formen, sozusagen ein analoges Pixelbild. Ich hörte mich noch das Wort ”Kugelmosaik” aussprechen, da rollten auch schon riesige metallene Kugeln auf mich zu, an mir vorbei, und dann war nur noch Dunkelheit.
Nach dem Aufwachen ging es mir nicht gut. Ich erinnere blutige Tücher und Näpfe. Nach Hause brachte uns eine Art Taxe, ein grüner, fast luxuriöser VW Export in zwei Grüntönen gehalten, auch das Interiör. Unterwegs erbrach ich mich blutig über den Rücksitz. Das kam nicht gut an bei der Fahrerin. Ich war über eine Woche lang krank im Bett. Traumatisch das Ganze.

Wie würde es also sein mit der zweiten Vollnarkose meines Lebens? Na, meine Schwester, selbst Krankenschwester, nennt diesen Narkosetyp scherzhaft die "Michael Jackson Dröhnung". Die Kanüle zur späteren Einfüllung des Narkosemittels war gesetzt, bei mir in die Hand, weil wieder mal die Armvenen weggerollt waren. Wir waren sechs Personen an diesem Tag, die im Sahlgrenska Krankenhaus die Cardioversion erhalten sollten. Nach weit über eine Stunde Warten kam ich dran als nummer fünf. Hinlegen, dass übliche Anschliessen der EKG Kabel. Der Arzt kam mit einer kleinen, durchsichtigen Sauerstoffmaske, ganz angenehm. Dann merkte ich wie etwas an meiner Hand geschah, aha, es wird etwas warm, wie wird jetzt die Bewusstlosigkeit kommen... gespannte Aufmerksamkeit. Würde ich nun unendlich müde werden und wegdämmern? Würde mir schwummrig werden im Kopf?
Aber nichts geschah! Verflixt, es wirkt ja garnicht! Ich überlegte, das kann doch nicht sein, nicht auch das noch! Ich musste mich melden, sonst kommt der Stromschlag wohlmöglich im Wachzustand! ”Es wirkt garnicht” hörte ich mich sagen und sah in einige lächelnde Gesichter um mich herum. ”Ist ja alles schon vorüber” erklärte man mir. ”Was? Tatsächlich? Und? Erfolg?” "Ja, du hast deinen Sinusrhythmus wieder."

Ich war dann etwas euphorisch nach der Narkose, fragte z.B. eine der Schwestern, ob sie früher mal Hochsprung betrieben habe (was sie bejahte!), sie hatte die Figur danach. Aber ich war auch fassungslos: meine Gedanken bei der Wahrnehmung der warmen Hand bis hin zu meiner Aussage, dass das Mittel nicht wirke erschien mir felsenfest als ein einziger ungebrochener ”Stream of Consciousness”. Aber es fehlten etwa zehn, fünfzehn Minuten in meinem Leben, spurlos weg. Die Gedanken vorher und nachher offenbar unverbrüchlich verschweisst. Aber dazwischen bist du weg gewesen und hast nichts bemerkt, weder deinen Abtritt noch den Wiedereintritt ins Bewusstsein. Wärest du nicht wiedergekommen hättest du auch das garnicht mitgekriegt! Tja, vielleicht ist der Ausstieg dermaleinst garnicht so dramatisch...

Der ersehnte Sinus-Takt hielt leider nur zwei Wochen, dann kam das Flimmern wieder, oder besser: das Flattern. Ist eine Variante des Flimmers bei dem sich die Vorhöfe wenigstens etwas mehr bewegen, aber eine nennenswerte Pumpleistung findet nicht statt. Muss behandelt werden wie das Flimmern.

Ausserdem: Man hatte mich schon ein wenig vorgewarnt (wegen meiner niedrigen Pulsrate, oft nur 45 statt 60-70) dass das EKG nach der Cardiversion, also wenn der Sinus-Takt wieder da ist, noch andere Probleme enthüllen könnte. So war es dann auch. Das Reizleitungssystem ist angegriffen, altersbedingte Degeneration (hört man nicht gern!), es kann in der Zukunft zu einem weiteren - und dann gefährlichen Absacken - der Schlagfrequenz kommen. Die Antwort darauf heisst: ein einoperierter Schrittmacher. Und eine Zukunft als Cyborg, halb Mensch, halb Maschine. Von aussen durch Fachkräfte programmierbar. Oder durch Hacker. Magnetfelder hoher Stärke könnten mein Ende sein. Bis zum Tode abhängig von funktionierender Krankenversorgung, von intakter Zivilisation, von Menschen mit Knowhow und Goodwill, von Zugang zu Ersatzteilen und Austauschaggregaten. Dass dies eine etwas gewöhnungsbedürftige Zukunftsaussicht ist brauche ich nicht extra betonen. Aber, es gibt Schlimmeres.


Schrittmacher OP Zusammenfassung vom 2.6.2017

- Der geräumige OP Saal: ein echter Techno-Palast. Aggregate und Bildschirme überall. Ich mag solche Umgebungen, geben mir ein Gefühl von Sicherheit.
- sehr nette Schwestern, super pädagogisch drauf, kommentieren alles was sie machen. Bereiten mich ungestresst auf den Eingriff vor.

- schöne, beruhigende Musik läuft gleichzeitig ab, ohne jedes blöde Gesabbel zwischendrin. Angenehm.

- Arzt setzt die Lokalbetäubung, die einzige die ich bekomme. Ein Beruhigungsmittel - vorher als Option angekündigt - wird nicht angeboten.

- Man findet leider nicht die bevorzugte Vene für das Einziehen der Elektroden ins Herz. Hab ich offenbar nicht, kommt vor. Der Doktor muss ziemlich tief graben um an die nächstbeste ranzukommen.

- Kammerelektrode - sieht aus wie ein magersüchtiges Bremskabel fürs Fahrrad - wird problemlos eingezogen und in die innere Kammerwand regelrecht eingeschraubt. In keiner Weise spürbar.

- Dann die Vorhofelektrode: Reichlich Versuche, aber nicht für Geld und gute Worte zu befestigen. Wieder raus damit. Nicht so prickelnd die Probleme voll mitzukriegen, trotz rührender Bemühungen einer Schwester mich abzulenken. Ein anderes Fabrikat greift dann schon beim ersten Versuch.

- Beim Vernähen erzählt mir der Doktor, dass alle meine Komponenten MRT tauglich sind (Kernspintomographie). Das will man heutzutage haben. Allerdings: man bleibt vorzugsweise bei einem Hersteller für das Ganze. Sollte aber praktisch keine Konsequenzen haben. Hoffen wirs.

- Keinerlei störende Empfindungen beim ersten Anschluss des Boston Scientific SM.

- Eine Stunde später: Nach einigen Spaziergängen auf dem Korridor leichtes Schwindelgefühl. Der Arzt kommt nochmal und checkt die Werte, Aggregat zielt auf 70 Schläge/min. Technisch und EKG mässig keine Probleme.

- Nach einigen Stunden kommt dann die "Programmiererin" und macht alle notwendigen Tests. Alles normal. Auf meine Frage ob denn 70 Schläge nicht ein bisschen hoch gegriffen ist nach vielen Jahren unter oder knapp über 50 meint sie, das hätte mit dem weiter bestehenden Vorhofflattern zu tun. Es ist die Frequenz die eventuelle Probleme minimiert. Danach nach Hause (8 h in der Klinik). Lena holt ab.

- Zwei Tage später: Immer noch kein Halleluja Gefühl. Hoher Blutdruck. Immer noch gefühlte Arhythmien. Hoffe, dass es ein Umstellungsphänomen ist.

- Montag 5.6.: Rufe in der Klinik an, will eine Nachkontrolle, fühle mich nicht besonders. Benommenheit und leichter Schwindel. Der Puls wird auf ein Minimum von 60 gesenkt.
Unser Kardiolog-Nachbar hier im Haus sagt: Das war vernünfting. Gewisse Umstellungsprobleme seien nicht selten. Blutdruck sinkt dann auf akzeptables Niveau. Wolln sehn wies weitergeht...

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